Szenariotechnik
Insbesondere bei der Prüfung von Plänen, Programmen oder Politiken werden sich Szenarien zu einer Standardmethode entwickeln. Denn das Arbeiten mit Szenarien schafft erst die Voraussetzungen für Leit- und Zielentwicklungen im Dialog mit der Öffentlichkeit.
Definition
Szenarien werden mit Hilfe der Szenariotechnik erarbeitet. Sie gehen grundsätzlich davon aus, dass ein Thema (Plan, Programm) sehr stark durch die Einflüsse von außen geprägt wird. Will man nun die Zukunftssitation erkennen, muss man zunächst Prognosen über die Einflussfaktoren erstellen. Für viele Einflussfaktoren werden alternative Annahmen über ihre Entwicklung aufgestellt werden. Ein Zukunftsbild der Einflussfaktoren muss aber in sich stimmig und widerspruchsfrei sein.
Die alternativen Projketionen müssen zu konsistenten Sätzen zusammengestellt werden. Daraus werden konsistente Zukunftbilder entwickelt, aus denen die zukünftige Situation des Themenfeldes abgeleitet wird.
Sie ist eine Anleitung zur prozessorientierten Problemlösung, die situations- und zielbedingt verschiedene Einzeltechniken benutzt. In Szenarien wird die Zukunft systematisch in ihre Bestandteile zerlegt, um sie anschließend strategisch und zielgerichtet wieder zusammenzusetzen. Dabei wird ein modulares, schrittweises und rückgekoppeltes (also lernfähiges) Vorgehen bevorzugt.
Systemanalyse
Ausgehend von einer Systemanalyse, wird der Rahmen für spätere denkbarer Entwicklungen abgesteckt, innerhalb diesen sich später die einzelnen Szenarien bewegen.
Eine gute Systemanalyse muss die wesentlichen Systemelemente (Schlüsselfaktoren) und Beziehungen erfassen. Zunächst ist zwischen wichtig und unwichtig zu trennen, wobei sich das Gewicht aus dem Einfluss der Elemente und Beziehungen auf die Entwicklung des Systems ergeben muss. So kann ein System in seinen Grundzügen abgebildet werden. Die Elemente und Beziehungen werden als vernetztes System begriffen, wodurch auch Wechselbeziehungen erfasst werden können.
Acht Phasen der Szenariotechnik
1. Strukturieren und Definieren des Themas
Als erstes muss das Thema abgegrenzt werden. Strukturelemente, Kenngrößen und aktuelle Probleme sind zu ermitteln. Der gegenwärtige Zustand des Themenfeldes wird beschrieben.
2. Identifizieren und Strukturieren der wichtigsten Einflussfaktoren und Einflussbereiche des Themas
Alle exogenen Einflussfaktorenauf das Thema werden gesammelt, sortiert und zu Bündeln zusammengefasst. Die strukturierten Einflussfaktoren werden hinsichtlich ihrer Wirkungsintensität bewertet.
3. Formulierung von Deskriptoren und Aufstellen von Projektionen und Annahmen
Die ermittelten Einflussfaktoren werden als quantitative oder beschreibende Kenngrößen (Deskriptoren) formuliert. Die Deskriptoren sollen alle wichtigen Einflussfaktoren abdecken. Durch die Deskriptoren sind sowohl quantifizierbare Trends als auch qualitative Entwicklungen zu erfassen.
Der größte Teil der Einflussfaktoren ist qualitativer Art; sie können problemlos bearbeitet werden.
Für alle Deskriptoren ist der Ist-Zustand zu kennzeichnen. Darauf aufbauend werden Projektionen für das Szenario-Zieljahr aufgestellt. Dabei soll auf bekannte Prognosen und auf Expertenwissen zurückgegriffen werden. Für viele Deskriptoren werden sich klare, eindeutige Trends abzeichnen. Für eine Reihe von Deskriptoren wird sich allerdings herausstellen, dass unterschiedliche Entwicklungen eintreten können. In diesem Falle sollte kein Kompromiss gesucht werden, sondern die möglichen Entwicklungen sind als alternative Annahmen festzuschreiben. Sowohl für die eindeutigen Projektionen als auch für die alternativen Annahmen sind fundierte, plausible Begründungen anzugeben.
4. Bilden und Auswählen alternativer konsistenter Annahmenkombinationen
In diesem Arbeitsschritt werden die verschiedenen alternativen Annahmen zu in sich stimmigen Bündeln zusammengefügt. Dazu wird ein Rechenalgorythmus eingesetzt. In einer Matrix werden die Ausprägungen aller alternativer-Deskriptoren einander gegenübergestellt. Es wird abgeschätzt, welche Ausprägungen sich gegenseitig verstärken, welche neutral und welche widersprüchlich zueinander sind. Daraus lassen sich mehrere konsistenete Annahmebündel zusammenstellen. Aus allen möglichen Bündel werden zwei bis drei Sätze nach den Kriterien "hohe Konsistenz" und "hohe Unterschiedlichkeit" ausgewählt. Sie bilden das Gerüst für die im nächsten Schritt auszuformulierenden Szenarien.
5. Entwicklung und Interpretieren der ausgewählten Umfeldszenarien
Die Szenarien müssen sich auch aus der Gegenwart heraus in Richtung auf die gebildeten Zukunftskonstellationen hin entwickeln. Dabei sollte der gedankliche Sprung in die Zukunft nicht zu weit greifen. Man geht daher in Zwischenschritten vor. Zu jedem Zwischenzeitpunkt wird ein inhaltlicher Abgleich vorgenommen und im nächsten Zeitabschnitt werden Reaktionen auf Entwicklungen in der vorangahenden Periode verfolgt. So entsteht ein vernetzter Entwicklungsablauf, der sich von der Gegenwart bis zum Szenario-Zieljahr erstreckt.
6. Einführen und Analysieren der Auswirkungen signifikanter Trendbruchereignisse
Ein Trendbruchereignis tritt plötzlich ein; es ist vorher als Trend nicht erkennbar. Trendbrüche lenken Entwicklungsverläufe in eine andere Richtung. Bei den betrachteten Ereignissen kann es sich z.B. um politische Ereignisse oder technologische Durchbrüche handeln. Zur Ermittlung von Trendbrüchereignissen werden Kreativitätstechniken angewandt.
7. Ableiten von Konsequenzen und Empfehlungen für die Aufgabenstellung
Die Zukunftsbilder für das Themenfeld werden aus den Umfeldszenarien abgeleitet; sie werden interpretiert und anschaulich dargestellt. Daraus werden dann Vorschläge für Maßnahmen abgeleitet.
8. Konzipieren von Maßnahmen und Planungen
Dieser Schritt gehört im engeren Sinn nicht mehr zur Szenariotechnik. Es hat sich jedoch bewährt, die Umsetzung im gleichen Team, das die Szenarien erarbeitet hat, anzudenken. Zunächst werden Konsequenzen abgeleitet und daraus dann strategische Leitlinien und konkrete Maßnahmen entwickelt.
Mangelnde Wissenschaftlichkeit?
Dieser Vorwurf basiert auf einem Wissenschaftsbegriff und einer Forschungspraxis, in der die Quantifizierbarkeit bei der Erfassung von Zuständen einseitig in den Vordergrund gestellt wird und nicht messbare Phänomene ausgeblendet werden. Diese Argumentation übersieht, dass auch quantifizierende Methoden normative Elemente enthalten und darüber hinaus eher die verfügbaren bzw. weiterzuentwickelnden Methoden als die Wichtigkeit der Elemente und Beziehungen die Auswahl der untersuchten Gegenstände bestimmen.
Die Szenariotechnik ist jedenfalls in der Lage, gegenwärtige und zukünftige Wirklichkeiten zutreffender, differenzierter und umfassender darzustellen als quantifizierende Prognosemethoden. Dies ist insbesondere für Themenfelder relevant, in denen eine Abschätzung zukünftiger Entwicklungen nicht quantifizierbar sind (z.B. Änderung des Landschaftsbildes).
Vorteile
- Sie trägt zu einem besseren Systemverständnis bei.
- Es besteht die Möglichkeit, auch komplizierte Sachverhalte und Entwicklungen anschaulich darzustellen und dabei wichtige Einflussfaktoren, Beziehungen und Interventionsmöglichkeiten zu identifizieren.
- Politikoptionen können plastisch dargestellt und damit der Diskussion zugänglich gemacht werden. Förderung des Denkens in Alternativen.
- Qualitative Informationen und "weiche" Daten (z. B. Grad der zu erwartenden Widerstände) können neben "harten", empirischen (Kosten) einbezogen werden.
- Nicht lineare Entwicklungen und Wechselwirkungen können abgebildet werden.
Nachteile
- Die Methode ist oft zeit- und damit auch kostenaufwändig, wenn gute ExpertInnen zugezogen werden müssen.
- Die Methode ist nicht wertfrei, sie arbeitet geradezu mit Werthaltungen und Zielen und variiert diese gegebenenfalls. Bei der Auswahl von Entwicklungspfaden besteht einerseits die Gefahr eines übermäßigen Einflusses von subjektiven, nicht nachprüfbaren ExpertInnenurteilen, andererseits ist es oft schwierig, politische Rücksichtnahme zu vermeiden und die Entwicklung beim Namen zu nennen.
- In der Praxis wird noch zu wenig Gebrauch gemacht von grafischen, zeichnerischen und bildhaften Darstellungen.
Die Nachteile begrenzen den Einsatz der Szenariotechnik, sie machen ihn jedoch nicht unmöglich. Für die Raum- und Umweltplanung bietet sich mit dieser Methode eine interessante Möglichkeit, mit Unsicherheit umzugehen. Denn das Arbeiten mit Szenarien schafft erst die Voraussetzungen fürLeit- und Zielentwicklungen im Dialog mit der Öffentlichkeit.
Quelle
Fürst, Dietrich & Scholles, Frank (Hrsg.) (2008): Handbuch Theorien und Methoden der Raum- und Umweltplanung, 3. Auflage, Dortmund.