Raumempfindlichkeitsuntersuchung

Die Raumempfindlichkeitsuntersuchung basiert methodisch auf der Überlagerung und grenzt den Untersuchungsraum für einen Variantenvergleich ein. Besonders konfliktträchtige Trassen oder Standorte sollen frühzeitig ausgeschlossen werden.

Anwendungsbereich

  • großräumige Vorplanung im Vorfeld eines Verfahrens
  • Informationsbasis für die Auswahl von - unter Umweltgesichtspunkten - sinnvollen Trassen bzw. Standorten
  • Eingrenzung der Untersuchungsfläche und damit auch des Zeitaufwands für den Variantenvergleich
  • Nutzung des verfügbaren Datenbestands
  • transparente Darstellung der Raumempfindlichkeiten
  • frühzeitige Berücksichtigung umweltfachlicher Leitbilder bei der Infrastrukturplanung

Begriffe

Raumempfindlichkeit = RaumwiderstandGrad der Vereinbarkeit des Projekts mit den Naturraumpotenzialen oder Qualitätsminderung der Umweltgüter, die im betroffenen Raum bei Beanspruchung durch das Vorhaben zu erwarten ist (Schemel 1979, 83)
FunktionsraumRaum, der eine bestimmte flächenmäßig abgrenzbare Funktion erfüllt und dabei auf natürliche Ressourcen angewiesen ist (Schemel 1979, 81)
relativ konfliktarmer Korridor  Weg für eine Trasse durch konfliktreichste Funktionsräume hindurch, bei dem der Raumwiderstand relativ gering ist, Aneinanderreihung von Flächen mit relativ geringer Empfindlichkeit, die eine Trassierung ermöglicht (FGSV 1990)
 

Arbeitsschritte

  1. Großzügige Abgrenzung des Untersuchungsraums

  2. Gliederung der Landschaft in Funktionsräume durch Typisierung (z. B. Ruhezone, geschlossener Lebensraum) für jedes Schutzgut

  3. Empfindlichkeitsmatrix: Feststellen der Betroffenheit der Funktionsräume durch Störfaktoren, die vom Vorhaben ausgehen (z. B. Flächenverlust, Zerschneidung, Verlärmung)

  4. Bewertung der Funktionsraumtypen anhand ihres gesellschaftlichen Stellenwerts (aufgrund eines Zielsystems) ohne Kenntnis der Ausprägung des jeweiligen konkreten Raums nach den Kriterien Bedeutung, Seltenheit, Ersetzbarkeit

  5. Ermittlung der Vorbelastung der Funktionsräume durch bestehende Infrastruktur

  6. Bildung von Tabuflächen, d. h. Funktionsräumen, deren Bedeutung alleine ausreicht, um die höchste Stufe des Raumwiderstands zu erreichen, und die damit für die weitere Suche ausscheiden (z. B. Siedlung, Schutzgebiete nach der FFH-Richtlinie)

  7. Überlagerung (additive Aggregation) der Raumwiderstände der einzelnen Schutzgüter zu einem ordinal skalierten Gesamtraumwiderstand und kartografische Darstellung

  8. Ermittlung relativ konfliktarmer Korridore bzw. Standorte

Untersuchungsumfang

Bei der Untersuchung wird fast ausschließlich auf vorhandene Daten zurückgegriffen um die Funktionsräume zu bilden. Die Bildung dieser Funktionsräume ist i.d.R. eine GIS-unterstützte Strukturtypenkartierung aus Luftbildern.

Die konkreten Umweltauswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt werden nicht ermittelt. Daher ist das Ergebnis der Untersuchung nicht so zu verstehen, dass innerhalb der Korridore der Projektverwirklichung nichts im Wege steht, sondern dass außerhalb der Korridore mit unlösbaren Konflikten zu rechnen ist.

Kritik an der Methode

Die Methodik der Überlagerung beruht auf statischen Einheiten und ist für deskriptive Aufgaben gut geeignet. Landschaftsdynamik und funktionale Zusammenhänge von Ökosystemen können aber nur sehr begrenzt abgebildet werden. Daher ist die Bezeichnung "Funktionsraum" für die räumlich abgegrenzte Typisierung kritisch zu sehen.

In der Praxis wird Empfindlichkeit häufig gleichbedeutend mit Schutzwürdigkeit eingestuft - je natürlicher, desto empfindlicher. Es bleibt meist außer Acht, gegen welche Auswirkungen die Schutzgüter empfindlich reagieren. Folglich kann nicht von der Empfindlichkeit von Schutzgütern gesprochen werden, sondern immer nur von Empfindlichkeit gegen eine bestimmte Einwirkung.

Die Methode soll eine frühzeitige Zusammenarbeit von Infrastrukturplanern und Gutachtern gewährleisten. Idealerweise wird die Raumempfindlichkeitsuntersuchung abgeschlossen, bevor sich bei den Infrastrukturplanern Vorstellungen über die Trassenlage oder den Standort verfestigt haben. Hinter der Raumempfindlichkeitsuntersuchung verbirgt sich die Wertung, dass es besser ist Belastungen in bereits vorbelasteten Räumen zu bündeln, als bisher gering belastete Räume heranzuziehen. Daraus ergeben sich politische Entscheidungen ob zum Beispiel Bewohnern eines stark vom Verkehr belasteten Gebiets auch noch eine Deponie oder ein Kraftwerk zugemutet werden kann, oder ob solche Belastungen gleichmäßiger auf die Teile der Allgemeinheit verteilt werden.

Quelle

Fürst, Dietrich & Scholles, Frank (Hrsg.) (2008): Handbuch Theorien und Methoden der Raum- und Umweltplanung, 3. Auflage, Dortmund.