Ökologische Risikoanalyse

Ziel der Ökologischen Risikoanalyse ist die Beurteilung der ökologischen  Nutzungsverträglichkeit bei unsicherer Information. Sie ist eine Form der Wirkungsanalyse  im Mensch-Umwelt-System und untersucht den Zusammenhang zwischen "Verursacher - Auswirkung - Betroffener".

Bei der Analyse und Prognose ökologischer Wirkungen besteht eine vergleichsweise große Unsicherheit, die verschiedene Ursachen haben kann. Diese Unsicherheit führt zu einem Risiko. Obwohl das Adjektiv "ökologisch" zunächst eine naturwissenschaftliche Vorgehensweise nahelegt, beinhaltet der Begriff "Ökologisches Risiko" über naturwissenschaftliche Erforschbarkeit hinausgehende Werturteile. Hierin ist ein großer Teil der Probleme begründet, die bei der Bewertung von Umweltauswirkungen in der Praxis auftreten.

Die Ökologische Risikoanalyse benutzt einen Risikoindex, das heißt es werden aus einzelnen partiell unterschiedlichen Beeinträchtigungsgrößen nach einer Regel aggregierte Risiken gebildet. Dies trägt der komplexen Beeinträchtigungsstruktur Rechnung.

Ablauf einer ökologischen Risikoanalyse

Grafik zum Vorgehen der Ökologischen Risikoanalyse
Vorgehen der Ökologischen Risikoanalyse

Um den Zusammenhang Verursacher-Auswirkung-Betroffener zu untersuchen, teilt sich das Verfahren in die Untersuchung der Betroffenen (natürliche Faktoren, linke Seite in der Abbildung) und der Verursacher (Nutzungsansprüche, rechte Seite in der Abbildung) auf.

Die Beurteilung erfolgt formal durch die Bildung der drei Aggregatgrößen (siehe auch Abbildung).

  • Beeinträchtigungsempfindlichkeit

  • Beeinträchtigungsintensität

  • Risiko der Beeinträchtigung

Dabei werden unter Beeinträchtigungen Änderungen von Quantitäten oder Qualitäten natürlicher Ressourcen verstanden, die nach Art und Ausmaß die Befriedigung der Ansprüche an natürliche Ressourcen erheblich erschweren oder unmöglich machen.

Beeinträchtigungsempfindlichkeit

Auf Seite der von Beeinträchtigungen Betroffenen werden zunächst die Leistungen der Naturgüter für Nutzungsansprüche, das heißt die Eignung, ermittelt. Dazu werden Indikatoren gebildet und herangezogen. Diese werden durch Untersuchungen (Datenübernahme, Berechnung oder Messung) für den Untersuchungsraum konkretisiert. Durch Abgleich der Untersuchungsergebnisse mit fachlichen Zielvorstellungen entsteht die Beeinträchtigungsempfindlichkeit. Diese fasst die Nutzungseignung natürlicher Ressourcen und die "Übertragungseigenschaften" der Geofaktoren für Wirkungen zusammen und ordnet sie in einer ordinalen Skala.

Beeinträchtigungsintensität

Auf der Verursacherseite werden die Auswirkungen von Nutzungen auf die Schutzgüter untersucht, indem auch hier Indikatoren gebildet werden. Die räumliche Konkretisierung erfolgt durch Prognose, da es um zukünftige Zustände geht. Daraus wird die Beeinträchtigungsintensität ermittelt. Diese fasst Beeinträchtigungsfaktoren für jedes Schutzgut (z.B. Mensch, Tiere, Pflanzen, Boden) entsprechend den von ihnen ausgehenden Wirkungen zusammen und ordnet sie wiederum in einer ordinalen Skala.

 Relevanzbäume

Die ordinale Skalierung, also die Klassen, für die Abschätzung der Beeinträchtigungsintensität und der Beeinträchtigungsempfindlichkeit werden mithilfe von Relevanzbäumen einzelfallorientiert hergeleitet.

 Präferenzmatrix

Das Risiko der Beeinträchtigung ergibt sich aus der Verknüpfung der beiden mithilfe der Bewertungsbäume ermittelten Größen in einer "Risikomatrix" (oder Präferenzmatrix) und soll das Ausmaß der Beeinträchtigung natürlicher Ressourcen veranschaulichen. Die Präferenzmatrix stellt die Intensitäts- und Empfindlichkeitsstufen gegenüber. Hohe Beeinträchtigungsintensität und -empfindlichkeit ergeben demnach hohes Risiko, geringe Beeinträchtigungsintensität und -empfindlichkeit geringes Risiko.

 Sach- und Wertaussage

In jedem Fall bestehen die Arbeitsschritte aus

  • einer naturwissenschaftlich-empirischen Wirkungsanalyse (Wie funktioniert der Naturhaushalt? Wie wirken Belastungen? Wie reagieren die Schutzgüter?) und
  • einer normativen Aussage (Einschätzung, Beurteilung, Bewertung) aus fachlicher Sicht (Wie gut funktioniert der Naturhaushalt? Führen die Belastungen zu Beeinträchtigungen? Verlieren die Schutzgüter ihre Funktionen? Besteht eine Schutzwürdigkeit?).

 Aggregationstiefe

Auf die Aggregation verschiedener Teilrisiken zu einem Gesamtrisiko wird meist verzichtet. Die Aggregation wird auf der Ebene von Naturraumpotenzialen, Raumfunktionen oder Schutzgütern durchgeführt, weil eine Abwägung zwischen einzelnen Schutzgütern stattzufinden hat, zu deren Durchführung letztlich nur der Entscheidungsträger, nicht aber der Gutachter legitimiert ist. Der Gutachter kann einen Vorschlag machen, den er aber als solchen kennzeichnen muss.

Die ökologische Risikoanalyse in der Praxis

Die Praxis der Umweltplanung wird heute methodisch von der Ökologischen Risikoanalyse bestimmt. Wenn auch bisweilen der Name vermieden und/oder die Methodik als verbal-argumentative Bewertung bezeichnet wird, so finden sich regelmäßig Elemente der Ökologischen Risikoanalyse wieder wie z.B. die Relevanzbäume, die Präferenzmatrix oder die Klassenbildung.

Die meisten Gutachterinnen und Gutacher verwenden einen Methodenbaukasten, indem sie quantitative Bilanzierungen, Szenarien, logische Aggregationen oder verbale Einschätzungen mit einfließen lassen. Dieses Zusammenfließen der Methoden in Abhängigkeit der Sachlage entspricht dem heutigen Stand der Methodik.

Eine halbwegs einheitliche Methodik ist trotz der Dominanz der Ökologischen Risikoanalyse nicht zu erkennen. Vielmehr folgen die Gutachter verschiedenen Schulen oder haben im Laufe der Zeit eigene Methodiken entwickelt. Dies schließt die Indikatorenauswahl, die Klassenbildung und die Verknüpfungsvorschriften ein. In der Regel wird bis auf Schutzgutebene aggregiert; dann werden die Schutzgüter tabellarisch oder argumentativ gegenübergestellt.

Die Methodik vergleicht in der Regel Varianten, indem Aggregatgrößen mit "hoch-mittel-gering" oder ähnlich eingeschätzt werden. Weil genaue Untersuchungen meist kosten- und zeitaufwändig sind und selbst dann sichere Aussagen kaum möglich sind, werden Begriffe wie Beeinträchtigung oder Empfindlichkeit sehr allgemein benutzt.

Risikobegriff: Anspruch und Wirklichkeit

Eintrittswahrscheinlichkeiten werden nicht ermittelt, sodass das Risiko der Beeinträchtigung mit dem Ausmaß der Beeinträchtigung gleichgesetzt wird. Als Ergebnis mehr oder weniger ausführlicher Argumentationen und verbaler Darstellungen wird eine hohe, mittlere oder geringe Beeinträchtigung bzw. Empfindlichkeit konstatiert. Gegen welche Auswirkungen die Schutzgüter wie empfindlich reagieren bleibt oft außer Acht.  Um zu einem "Gesamtrisiko" zu kommen, werden die Einzelrisiken dann teilweise saldiert, was jedoch formal unzulässig ist. Die Einfachheit der Methode verleitet dazu Umweltauswirkungen pauschal zu beurteilen. Die Methode darf nicht allein auf eine Präferenzmatrix reduziert werden. 

Indikatorprobleme

Die Praxis steht vor dem Problem, kein einheitliches Set an Umweltindikatoren zur Verfügung zu haben. Indikatoren werden oft frei ausgewählt und unterscheiden sich damit von Untersuchung zu Untersuchung. Dadurch wird jedoch die Vergleichbarkeit ähnlich gelagerter Fälle und damit die Nachvollziehbarkeit der Aussage erschwert, wenn nicht derselbe Gutachter tätig war.

Probleme bei der Klassenbildung

Die ordinale Einstufung von Beeinträchtigungsintensität und Beeinträchtigungsempfindlichkeit ist nur möglich, wenn Klassen gebildet werden (z. B. "sehr hoch-hoch-mittel-gering-sehr gering"). Die in der Praxis oft verwendeten Klasseneinteilungen sind selten sachlich begründet und entscheidungsorientiert. Dazu bedarf es landschaftlicher Leitbilder und daraus entwickelter regionalisierter Umweltqualitätsziele, mit deren Hilfe die Klassengrenzen begründet bestimmt werden können.

Aggregation

Die Aggregation der diversen Wirkungsaussagen zu einer Gesamtaussage wie "umweltverträglich" ist die umstrittenste Problematik aller Methoden. Zumindest bis auf Schutzgutebene muss aggregiert werden, soll der Entscheidungsträger noch den Überblick behalten. Irgendwann muss aber eine integrative Gesamtaggregation stattfinden, damit eine Entscheidung für eine Alternative fallen kann.

Quelle

Fürst, Dietrich & Scholles, Frank (Hrsg.) (2008): Handbuch Theorien und Methoden der Raum- und Umweltplanung, 3. Auflage, Dortmund.